Einleitung

Coping-Strategien und Folgen für Frauen mit Rassismuserfahrungen

Die Lebensrealitäten der interviewten Frauen werden in Form biografischer Fallvignetten erzählt. Alle Elemente der folgenden Erzählungen sind den Interviewgesprächen mit den Frauen entnommen. Diese wurden jedoch vermischt und miteinander verwoben, um die Anonymität der Interviewpartnerinnen zu wahren.

Die Biografien vieler Frauen mit Migrationsgeschichte und einschließlich derer geflüchteter Frauen sind von langandauernden Phasen von Belastung und Stress, einer Häufung schwerer kritischer Lebensereignisse und teilweise auch von Traumatisierung geprägt. Als Folge dessen erleben die Betroffenen ein tiefsitzendes Gefühl von Hilflosigkeit und dem Bedürfnis, immer auf der Hut sein zu müssen, da das eigene Umfeld als unsicher erlebt wird. Auch werden Frauen, die ihr Herkunftsland verlassen mussten, durch Gefühle von Fremdheit, Ausgrenzung und Trauer um verlorengegangene Bezugspersonen, Kompetenzen und Chancen herausgefordert. 

Rassismus und Diskriminierung verstärken diese Gefühle und können zu einem anhaltenden Misstrauen, Unwohlsein, aber auch zu Hoffnungslosigkeit, Ängsten und Verzweiflung führen. Vielen Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte wird im Rahmen rassistischer Bemerkungen die Botschaft „Du bist nicht willkommen“ oder „Du bist nicht richtig so, wie du bist“ vermittelt. Dies sind schmerzhafte Erfahrungen, die häufig mit Frustration, Zweifeln und Verunsicherung einhergehen. All das hat nicht nur immensen Einfluss auf den Selbstwert der Betroffenen, sondern kann auch in Krisen münden und psychische Erkrankungen hervorrufen. Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung üben auf Personen mit ohnehin schon hoher seelischer Belastung einen zusätzlichen negativen Einfluss aus, der es erschwert und zum Teil unmöglich macht, im neuen Land eine Heimat zu finden. Auch Frauen mit einer familiären Migrationsbiografie wird aufgrund ihres Namens, Aussehens oder ihrer Religion die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft im Alltag abgesprochen. Alle betroffenen Gruppen entwickeln Coping-Strategien, um mit den abwertenden Handlungen der Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft und den Rassismuserfahrungen einen Umgang zu finden - um Handlungsfähigkeit zu erlangen oder wiederzugewinnen.

Die folgenden Fallvignetten geben die Erfahrungen von Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern mit Rassismus wieder und bieten Einblicke in Coping-Strategien der Betroffenen.

Fall 1: Gabuschka, 23 Jahre, Neubrandenburg

Fall 1: Gabuschka, 23 Jahre, Neubrandenburg

Ich sitze in einem großen Saal. Vor mir ein Mann, der hält einen Vortrag. Einen Vortrag über Rechtextremismus und Rassismus in Mecklenburg-Vorpommern. Ich höre zu und muss für mich feststellen: Er macht mich sehr traurig, vielleicht auch ein bisschen wütend? Was hat er nochmal gesagt? Hier gibt es nicht so viele Probleme? Wir stehen im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern „sehr gut“ da? Bei uns ist die AfD nicht so stark? Nur fast 18% der Sitze im Landtag? Und Rechtsextremismus haben wir in MV fast besiegt, weil es so viele Beratungsstellen gibt?

Ich versuch' nicht mehr zuzuhören, ich kann es kaum aushalten, in diesem Raum zu sein. Schon wieder hat er das gemacht! Er schweigt darüber, dass es auch hier Rassismus gibt. Na klar, für ihn gibt es bestimmt keine Probleme! Aber ich traue mich nicht, etwas zu sagen, alle anderen im Saal finden den Mann witzig und kompetent.

Ich muss an meine Mama und Oma denken. Wir sind vor 20 Jahren hierhergekommen. Als Spätaussiedlerinnen. Meine Oma hat immer gesagt: erstmal war ich lebenslang die Deutsche, und jetzt bin ich seit 20 Jahren die Russin. Ich weiß noch, dass es bei uns zuhause immer sehr wenig Geld gab. Meine Familie hatte fast nichts. Wir waren schon in Russland arm und in Deutschland noch ärmer. Meine Mama war in Russland eine Lehrerin, in Deutschland hat sie als Reinigungskraft gearbeitet. Meine Oma arbeitete in Russland als Leiterin einer Schule, hier in Deutschland durfte sie nie arbeiten. Es waren schlechte Zeiten für uns, ich musste immer nachmittags bis zum Abend mit meiner Mama in einer Firma die Reinigungsarbeiten erledigen, und das war echt keine schöne Kindheit.

Von den Erzählungen weiß ich, dass wir im Haus mit vielen rassistisch denkenden Menschen gelebt haben. Einmal hat jemand meinen Kinderwagen im Haus angezündet, weil er oder sie uns nicht als Nachbarinnen haben wollte. Ich saß nicht im Kinderwagen, aber könnt ihr euch die Auswirkungen dieses Angriffs auf die Beziehungen zur Nachbarschaft vorstellen? Meine Mama und Oma hatten so viel Angst, tagtäglich, sie haben fast die ganze Wohnung zu einer Festung umgebaut. Meine Oma geht bis heute nicht mehr alleine auf die Straße, immer nur mit uns in Begleitung. Sie fühlt sich nicht sicher. Bis heute!

Als Kind habe ich das Sprechen verlernt. Ja, wirklich, ich habe die Sprache verlernt. Wir haben zuhause immer Russisch gesprochen, dann sind wir nach Deutschland gekommen und auf einmal mussten wir nur Deutsch sprechen. Ich habe vier Jahre lang nur geschwiegen, ich war einfach sprachlos. Bis heute kann ich den Akzent meiner Mama nur schwer aushalten – ich denke mir immer, sprich endlich wieder Russisch, ich kann dich kaum verstehen! Und das war wahrscheinlich auch das Problem, als ich klein war. Ich konnte nicht mehr Russisch, aber konnte auch nicht Deutsch. Später war ich im Kindergarten, aber die deutsche Sprache habe ich nicht so schnell lernen können. Ich hatte in der Schule noch Glück, weil eine Lehrerin an mich geglaubt hat. Bis heute traue ich mich kaum zu sprechen, obwohl ich akzentfrei Deutsch spreche und hier studiert habe.

Russisch habe ich nicht mehr gelernt und verstehe es auch nur zum Teil. Meine Mama hat zwar Deutsch gelernt, aber nicht so gut, dass wir uns wirklich lange und gut unterhalten können. Unsere Beziehung leidet darunter, das ist so schade! Ich denke an all die anderen Migrantinnen und Spätaussiedlerinnen und frage mich, wie es ihnen mit ihren Sprachen und mit dem Sprachenwechsel ergeht. Ob sie sich hier zuhause fühlen können oder ob sie sich wie ich immer als Fremde bezeichnen? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass in Zukunft nicht mehr so viele Menschen über Demokratie und Rassismus reden, die keinen Rassismus erfahren haben, sondern wir, die zu dem Thema viel zu sagen haben.

Fall 2: Lumya, 47 Jahre, Stralsund

Fall 2: Lumya, 47 Jahre, Stralsund

Ich bin eine ganz gewöhnliche Frau. Ich habe Kinder, ich bin seit 19 Jahren verheiratet, ich gehe arbeiten. Mein Alltag ist nichts Besonderes. Ich versuche Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen. Ja, das gelingt mir mal mehr und mal weniger, wie bei allen anderen auch. Ich fahre gern in den Urlaub, lese gern und mache zu wenig Sport, das kommt einfach zu kurz. Eigentlich bin ich genauso wie alle anderen, habe mal gute und mal schlechte Tage. Ich mache mir auch Sorgen, um meine Kinder oder meine Ehe, aber wer kennt diese Sorgen nicht? Aber ein bisschen anders bin ich wohl doch, jedenfalls kriege ich das dann und wann zu hören.

Über meine Sorgen kann ich selten reden. Mein Kopftuch ist oft interessanter als ich. Ich wurde schon gefragt, ob mir unter meinem Kopftuch nicht zu warm ist oder ob ich damit duschen gehe. Am Fußgängerüberweg werde ich angestarrt, angespuckt wurde ich auch schon. Ich senke meine Blicke, versuche nicht aufzufallen. Ich will alles richtig machen, das ist mir wirklich wichtig. Das erwarte ich auch von meinen Kindern, ich will, dass sie nicht negativ auffallen. Sie sollen immer ihr Bestes geben. Ich versuche, dass ihre Brotdosen immer mit gesundem Essen gefüllt sind und ihre Anziehsachen immer tadellos aussehen. Ich bügele alles, damit keiner sagen kann, dass meine Kinder unordentlich aussehen. Sie haben viele Hobbies, das ist mir wichtig. Keiner soll sagen, dass sie nicht gut integriert sind. Eigentlich denke ich kaum an was anderes. Das beschäftigt mich auch nachts. Da liege ich dann wach und frage mich, habe ich etwas falsch gemacht? Habe ich genug gegeben? Ich gehe alles durch, jede Situation, ich will die Kontrolle behalten. Aber ich merke auch, das wird immer schwerer.

Je stärker ich versuche, alles perfekt zu machen, desto mehr merke ich, dass es nichts bringt. Oft fehlt mir die Kraft, ich fühle mich hilflos, aber das kennt ihr vielleicht auch? Vielleicht kennt ihr das, dass euer Kind Geburtstag hat, ihr schöne Einladungen bastelt für die Schulfreunde, Spiele vorbereitet, aber kein Kind die Einladungen annimmt. Kennt ihr das? Wisst ihr, wie schlimm das ist, wenn ihr nichts machen könnt? Euer Kind sitzt vor euch und weint, weil niemand zur Geburtstagparty kommt. Was soll ich tun? Zu allen Eltern nach Hause gehen und sagen, „wir sind keine Terroristen!“? Zum Geburtstag wünschte sich mein Kind eine Operation. Eine Operation, die mein Kind weiß macht. Wie alle anderen will ich sein, sagte mein Kind. Was sagt man da als Mutter? Wie reagiere ich?

Ich gebe ja schon mein Bestes. Wir bezahlen unsere Steuern, wir sind ausgebildete Personen, und wir versuchen, unseren Vorgarten zum Blühen zu bringen und ordentlich zu halten. Aber es reicht nicht. Es ist nicht genug. Nie ist es genug. Manchmal bin ich so traurig, dass ich schlimme Kopfschmerzen habe, Zahnschmerzen sogar. Die Ärzte finden nichts, sie sagen, es ist alles in Ordnung.

Die Angst um meine Kinder ist unerträglich. Meine Kinder wurden schon mit einem Messer bedroht oder verfolgt, einfach nur, weil sie mit anderen Kindern Fußball spielen wollten. Ich habe auch andere Ängste. Kann ich weiter in meinem Beruf arbeiten? Es war bereits sehr schwer, diesen Job zu bekommen. Ich hatte Glück. Aber ich arbeite auch hart, um zu zeigen, dass ich es verdient habe. Ich komme als Erste und gehe als Letzte, schreibe meine Überstunden nie auf. Ich übernehme alle Aufgaben, die meine Kolleginnen nicht machen wollen. Aber das politische Klima spitzt sich zu. Wenn es zu Stellenkürzungen kommt, bin ich dann die Erste, die gehen muss? Wie finde ich eine neue Anstellung? Aber das kennen andere Frauen auch. Alle Frauen, die Kinder haben, kennen diesen Druck. Erfolgreich sein zu müssen, lieber nie krank sein, durchhalten.

All das beschäftigt mich, aber wie kann man das thematisieren? Wie spreche ich darüber mit meinen Kindern? Wie teile ich meine Sorgen mit meinem Partner? Der hat genug andere Probleme. Ich stehe morgens auf, bringe meine Kinder zur Schule, gehe arbeiten und lese gern, fahre gern in den Urlaub. Ich bin genau wie ihr. Oder?

Fall 3: Dascha, 38 Jahre, Wismar

Fall 3: Dascha, 38 Jahre, Wismar

Ich wache auf und hoffe, dass der Tag schnell wieder vorbeigeht. Ich arbeite als Lehrerin, ich habe eine sogenannte DaZ-Klasse bekommen. Also Kinder, die noch nicht Deutsch sprechen, Kinder mit einer Migrations- oder Fluchtgeschichte. Ich bin jeden Tag so erschöpft, muss noch nachdenken, wie lange ich es noch machen möchte. Ich habe die DaZ-Klasse bekommen, weil ich eine Migrantin bin. Wir werden „Kanakenklasse“ genannt. Also die Migrantin soll zu den Migrantinnen. Wow. Schon an der Uni wurde ich mehrmals gefragt, warum ich hier studieren möchte, warum ich als Grundschullehrerin arbeiten möchte, wenn ich nicht Deutsche bin. Ja, warum möchtet ihr Englisch unterrichten, wenn ihr nicht Engländerinnen seid? Bis heute habe ich keine Antwort bekommen. Ich bin in der Küche angekommen, mein Sohn macht gerade die Brotdosen fertig, eine für mich und die andere für sich. „Ich habe dir noch ein paar Kekse eingepackt, es ist gut für die Nerven“, lacht er. Kurze Zeit bin ich sehr begeistert, aber das ist schnell vorbei: „Du musst die Ausländer unterrichten, das kostet Kraft!“ Ich gucke ihn kurz an und frage: „Und was sind denn wir? Sind wir etwas anderes?“

Er schaut mich an und sagt: „Na klar! Wir sind anders. Wir haben uns angepasst, aber diese Ausländer wollen es nicht.“ Mir ist kurz zum Weinen. „Das kannst du doch nicht ernst meinen! Wir haben auch eine Migrationsgeschichte, das solltest du nie vergessen!“ Wir müssen beide in die Schule, keine Zeit mehr zur Diskussion. Wir merken beide, dass wir ein Tabuthema angesprochen haben. Ich frage mich, was habe ich falsch gemacht, dass mein Sohn überhaupt so denken kann. Liegt es an der Sprache? Ich bedauere es zutiefst, dass ich ihm meine Muttersprache nicht beigebracht habe. Ich war noch jung, als er geboren wurde. Ich habe selbst noch studiert. Die Geburt war für mich ein Horror, während der Geburt wurde ich immer wieder gefragt, ob ich Deutsch spreche, aber egal, was ich gesagt habe, kein Mensch hat mit mir gesprochen. Alle wollten sich nur mit meinem deutschen Mann unterhalten. Mein Sohn war ein klassisches Schreikind, ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich hatte so große Heimweh, ich habe meine Familie und Freundinnen so vermisst. Ich war (und bin es bis heute) so einsam!

Auch später habe ich die Beziehung und Nähe zu meinem Sohn immer wieder vermieden. Es war für mich so schmerzhaft! Ich wollte, dass er deutsch wird, gleichzeitig wollte ich es aber doch nicht zulassen. Einfach verrückt! Die Zeit mit ihm, als er Kind war, war für mich schwer zu ertragen. Ich hatte Angst, mit ihm rauszugehen, er hat immer so geschrien, und die Menschen haben immer gesagt: „Siehst du, die Migranten bekommen immer so viele Kinder, aber kümmern sich gar nicht! Wer weiß, was sie ihm wieder angetan hat.“ Ich habe es so bedauert, dass ich Deutsch kann, sonst hätte ich es wenigstens nicht verstanden. Ich wusste, ich muss deutscher werden! Ich habe so fleißig Deutsch gelernt, nur deutsche Traditionen übernommen, ich habe mich in Vereinen engagiert und einen Hund gekauft. Jetzt ist mein Sohn schon 13, und ich bedauere so Vieles, weil es sich anfühlt, als hätte ich ihn verloren. Auch wenn ich mit ihm zu mir nach Hause fahre, habe ich die ganze Zeit Angst, dass er sich zu deutsch verhalten wird und meine Familie sich von uns noch weiter entfernt. Ich habe durch den Stress, „nicht genug“ oder „zu deutsch“ zu sein, keine Kinder mehr bekommen, ich konnte einfach nicht mehr schwanger werden, wobei wir beide als Paar gesund sind.

„Guten Morgen“, rufen die Schülerinnen. „Kommen Sie schnell! Sie hat wieder Flashbacks!“, schreit meine Kollegin. Ich weiß schon, was mich erwartet. Ich kenne das Bild fast tagtäglich. Ein kleines Mädchen sitzt unter der Bank, zittert, ist desorientiert, ihre Augen sind vernebelt. Ich sitze neben ihr, sage immer wieder: „Keine Angst, wir sind in Sicherheit!“ Nach einer gefühlten Ewigkeit kann sie bei mir einschlafen, und wir machen mit den anderen Schülerinnen wieder Deutsch. Ich sehe die Verzweiflung der anderen Kinder, sie wissen genau, wie es dem Mädchen geht, sie kennen es selbst sehr gut. Die Bilder des Krieges kommen mehrmals pro Tag zurück, sie erleben den Krieg im Kopf wieder und wieder. Wir bemühen uns alle, positiv zu bleiben, manchmal lachen wir. Ja, ich wusste es schon beim Aufstehen: Der Tag wird wieder sehr lang, und ich will nur, dass er schnell endet.

Fall 4: Simi, 17 Jahre, Schwerin

Fall 4: Simi, 17 Jahre, Schwerin

Ich laufe durch eine gefüllte Straße und denke die ganze Zeit: „Nicht hochschauen, nicht die Menschen anschauen!“ Ich hasse es, die Blicke der Menschen zu sehen, wenn sie mich angucken. „Nur noch ein paar Schritte mehr!“ Uff, jetzt habe ich es geschafft. Ich stehe vor dem Eingang. Gleich umhüllt mich ein unerträgliches, bedrückendes Gefühl, das sich in mich hineinfrisst. Es ist so schwer, dass ich am liebsten zu Boden gleiten würde, als würden mich tausend Zementblöcke nach unten ziehen. Eine unbeschreiblich schwere Last, die ich mit mir herumtragen muss, aber das ist nun mal so. Noch nie anders gewesen. Ich atme noch das letzte Mal tief ein. Versuche erfolglos, diese Last von mir abzuschütteln, und gehe in meine Schule. Auf dem Flur treffe ich ein Mädchen, das in meine Parallelklasse geht: „Hallo, meine Schokolade!“, sagt sie lachend. Ich merke, wie wütend mich das macht, aber ich bin zu müde, um mich darüber zu streiten, es hat doch eh' keinen Sinn, also lächle ich einfach zurück und gehe weiter. Ich habe es so satt! Immer wieder muss ich wegen meiner Hautfarbe auffallen. Niemand sieht mich! Nur meine Hautfarbe. Immer bin ich irgendwie anders. Irgendwie nicht dazugehörig. Einfach fremd.

Schon als Kind ist mein Dad nach Deutschland gekommen, hat hier studiert und arbeitet hier als Arzt. Meine Mom ist eine weiße deutsche Frau und hat einen guten Job als Referentin in der Kirche. Ich bin hier geboren, und trotz allem werde ich ständig als Fremde wahrgenommen, ständig werde ich gefragt: „Wie lange bist du in Deutschland? Was? 17 Jahre? Dafür sprichst du aber sehr gut Deutsch!“ Da muss ich schon selbst lachen, ich kann keine andere Sprache als Deutsch. Es ist meine Muttersprache. Aber das ist den Menschen egal. Für sie zählt nur ihre vermeintliche Wahrnehmung, basierend auf Vorurteilen. Für sie kann ich nichts anderes sein als eine Fremde. Sie würden nie darauf kommen, mich in irgendeiner Weise als „richtige Deutsche“ zu betrachten. Selbst meine Klassenlehrerin wollte mir keine Gymnasialempfehlung geben. Sie hatte Angst, ich könnte Schwierigkeiten in Deutsch haben. Lächerlich. So sind sie auch mit anderen Kindern mit Migrationshintergrund umgegangen. Jeder, der nicht genug deutsch erscheint, wird automatisch für die Mittlere Reife eingeordnet. Trotz aller Widerstände bin ich aufs Gymnasium gekommen, aber warum muss es immer ein Kampf sein? Werde ich jemals aufhören können, kämpfen zu müssen?

Gleich geht der Unterricht los. Ich sitze und lese noch schnell meine Whats-App-Nachrichten durch. Ich mache mir große Sorgen um meine Freundinnen aus der Türkei. Ich mag sie sehr gerne, sie sind immer bereit zu helfen, zu unterstützen und sorgen sich immer um andere Menschen. Sie haben Angst um ihre Mutter, sie wurde im Gefängnis gefoltert und vergewaltigt. Seitdem spricht sie kaum. Sie tun alles, was sie können, damit es ihr wieder besser geht, aber bis jetzt ohne Erfolg. Sie tun so viel für andere, dabei haben sie ihre eigenen Traumata durch ihre Fluchterfahrung. Ich weiß nicht, wie sie es aushalten. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Und jetzt droht der Familie eine Abschiebung! Ich bin so froh, dass ich nur eine Schwarze Person bin, einen deutschen Pass habe, Deutsche bin. Aber jetzt muss ich mich auf den Unterricht konzentrieren, ich muss besser sein als alle „normalen Kinder“, das sagt mein Vater immer wieder. Nicht auffallen, sich anpassen und die Beste sein.

Angst schwingt immer mit.
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